Zur Motivanregung soll Leonardo da Vinci das andächtige Betrachten von durch Witterung beeinflusster Fassaden geraten haben. Abbröckelnder, gealteter Verputz stimuliere analog einem wolkigen Himmel unsere Phantasie. Das amorphe formenreiche Gebilde der Wolke veranlasst wie Leonardos Fassaden unsere Vorstellungskraft zu ihrer imaginären Umgestaltung und Anreicherung mit Assoziationen.
Bei diesem Zwischenstadium angelangt entsteht der Eindruck einer sandig matten, monochromen Tafel. Im finalen Schritt werden bestimmte Partien derselben mit feinkörnigem Schleifpapier abgeschmirgelt (das Ganze wirkt beinahe wie Edelsteinschleifen). Das Malmittel Wasser indes – unabdingbar für den Aufbau der scheinbar verputzten Tafel – wird jetzt umgekehrt einem gestalterischen Abbau der Schichten unterworfen. Das Resultat erscheint uns als Leonardos Anregungsquelle, als eine Art spiegelglatter Fassade, und buchstäblich besehen als glänzendes Tafelbild. Es erinnert stark an Tadelakt, einer antiken Kalkpresstechnik.
„Die nassgeschliffenen Bildtafeln vermitteln sedimentierte Tiefenschichten, sie inszenieren eingefrorene Zeitleichkeit als Erlebnis.“
Tiefe Grate und Reliefs, selbst die durch Pinselspuren erzeugten, bleiben und werden auf paradoxe Weise sichtbar. Abstrakte Begriffe wie Zeitlichkeit oder historische Zeit überhaupt sind wir zumeist geneigt durch räumliche Metaphern wie Tiefe, Sedimente oder Schichten zu versinnbildlichen. Die nassgeschliffenen Bildtafeln hingegen vermitteln den Eindruck sedimentierter Tiefenschichten, sie inszenieren eingefrorene Zeitleichkeit als Erlebnis – Spur und Aura verfestigen und verflüssigen sich zur geronnenen Einheit.